Als Dino Carletti 1961 ein kleines Landgut mit 22 Hektar in der Nähe von Montepulciano kaufte, konnte er nicht in seinen kühnsten Träumen voraussehen, was einmal daraus werden würde. Er dachte auch gar nicht vorrangig in wirtschaftlichen Dimensionen – die Landschaft in ihrer unwiderstehlichen Farbigkeit hatte in ihm den Sinn für Poesie geweckt. Deshalb gab er seinem neuen Besitz den Namen eines Dichters: Angelo Ambrogini, genannt Poliziano, war ein Sohn Montepulcianos, diente den Medici als Kanzler und ist mit seinen Stanzen und Elegien einer der bekanntesten italienischen Lyriker.
Heute ist die Azienda Poliziano, gelegen im bilderbuchhaft schönen Hügelland rund um das alte Renaissance-Städtchen, einer der führenden Weinerzeuger der Toskana – und eines der dynamischsten Weinunternehmen ganz Italiens.
Verantwortlich dafür ist Dinos Sohn, Federico Carletti. Er ist Agrarwissenschaftler, aber hatte bis zu seinem Diplom 1978 keinen professionellen Kontakt mit der Welt des Weines gehabt. Das änderte sich an der Universität von Florenz, wo er sich mit dem Önologen Carlo Ferrini anfreundete.
Die 80er Jahre waren auch für den Montepulciano und seinen Flaggschiff-Wein, den Vino Nobile, eine schwierige Zeit. Die gesamte italienische Weinlandschaft war im Umbruch. Das Prestige der Weine von Montepulciano lag meilenweit hinter dem des Chianti Classico, erst recht des Brunello zurück – und die Preise ebenfalls. Es erforderte schon ein ungewöhnlich große Portion an Optimismus, genau zu diesem Zeitpunkt groß in neue Rebflächen und Kellereiausrüstung zu investieren.
Aber genau das tat die Familie Carletti. Heute verfügt Poliziano über 110 Hektar Weinberge. Auf den ältesten Weinbergen, zwischen 1962 und 1980 bepflanzt, steht nur Prugnolo Gentile, die örtliche Variante des Sangiovese in einer Dichte von rund 3750 Stöcken pro Hektar. Die jüngeren Weinberge, gepflanzt zwischen 1985 und 1995, weisen schon eine Dichte von 5000 Stöcken auf, während die neuesten Pflanzungen bei 6250 liegen, die intensiver gefärbte Trauben mit mehr Polyphenolen und Aromen tragen.
Poliziano war unter Führung des Önologen Maurizio Castelli einer der ersten Betriebe in Montepulciano, die aus dem unattraktiven Vino Nobile einen Wein machten, der sich hinter den besten Chianti Classici nicht zu verstecken brauchte. Mit der majestätischen Wucht der Nachbarn aus Montalcino können auch die besten Montepulcianos nicht konkurrieren, aber dafür sind sie auf ihre ganz besondere Art elegant, zurückhaltend, nobel.
Über die Jahre hat sich die „Selezione Vigna Asinone“ zu einem herausragenden Vino Nobile entwickelt. Nur in großen Jahrgängen wird davon in einer kleinen Auflage zusätzlich eine Riserva erzeugt. Diese Selektion von dieser hoch gelegenen Einzellage hat eine finessenreiche Eleganz, die in der Toskana ihresgleichen sucht.
Mit „Le Stanze“ produziert Poliziano darüber hinaus einen sehr dichten und attraktiven Merlot/ Cabernet-Blend, der mit seiner Fülle und Kraft den Gegenpol zum Vino Nobile bietet.